Kurz vor Omikron haben Bego und ich es noch geschafft, uns auf einen Kaffee zu treffen. Draußen unter einem bonbonfarbenen Nachmittagshimmel und mit ein paar Heizstrahlern im Rücken mitten in Linden-Nord. Bego heißt eigentlich Beate Gonitzki, aber eigentlich nennen sie alle Bego. Und so lässig wie ihr Spitzname über die Lippen geht, so lässig bewegt sie sich auch durch das hannoversche Stadtbild. Denn Bego kennen einfach wirklich viele Menschen. Als ich ihr das erzähle, lacht sie auf. „Ich war schon mehrmals in irgendwelchen herausgehobenen Positionen, obwohl ich das eigentlich nie so fühle“, erzählt sie mir. Zum Beispiel als während ihrer Zeit im AStA-Hannover der Verfassungsschutz von 1999-2001 den Spitzel „Kirsti Weiß“ eingeschleust hatte. Auch war Bego, die Politik studiert hat, lange beim ehemaligen Bürger*innensender Radio Flora und war dort sogar Sendeleiterin. Seit 2012 ist sie beim Bildungsverein Hannover tätig, zunächst für den Fachbereich Kultur, seit vier Jahren als Teil der Geschäftsführung. Und eigentlich hatten wir uns getroffen, um über die 40-jährige Geschichte dieses Vereins zu sprechen, der stets als Pendant zur VHS angesehen wird. Gegründet am 3. März 1981 war der Hintergedanke, einen Ort der Bildung zu schaffen, der für alle offen steht und die Wissensinhalte lebendig, kommunikativ und zielgruppenorientiert vermittelt. Kein Schulunterricht für Erwachsene also. Wir wollten über die Stolpersteine sprechen, die der Verein überwinden musste, um als Träger für Erwachsenenbildung gelten zu können.

Aber in Zeiten wie diesen ist es nahezu unmöglich ein bestimmtes Thema zu umschiffen, nämlich die Pandemie, und dieses traf mit ihren Lockdowns natürlich auch den Bildungsverein. Auf der einen Seite standen dort natürlich die zahlreichen Dozent*innen, die von jetzt auf gleich nicht mehr unterrichten konnten. Während die Mitarbeit für einige Lehrende ein wunderbarer Nebenjob mit Mehrwert ist, ist es für viele von ihnen wiederum ein wichtiger Baustein für die eigene Selbstständigkeit. Die sogenannten Solo-Selbstständigen fühlten sich zu Beginn des ersten Lockdowns von der Politik vergessen. Und auch der Bildungsverein sah die prekäre Lage, in die ihre Lehrenden gebracht wurden, und versuchte mit allen Mitteln zu unterstützen. Sogar in Form von Krediten. Trotzdem mussten sich einige der Lehrenden beruflich umorientieren, um die eigenen Kassen dauerhaft wieder füllen zu können.
„Niemand möchte 20 Jahre lang auf der Wartebank sitzen“
Ein weiteres Sorgenkind allerdings waren und sind all jene, die die zahlreichen Deutschkurse beim Verein belegen. Der Bildungsverein ist sozusagen die größte „Deutschschule“ in Niedersachsen und fühlt sich schon alleine auf Grund seiner sozialen und interkulturellen Komponente Menschen mit Migrationshintergrund besonders verpflichtet. „Die tägliche Anwendung ist wichtig für die Festigung“, sagt Bego. Die Lockdowns machten den einst so lebendigen Gruppenunterricht allerdings unmöglich und digitaler Ersatzunterricht ist leichter gesagt als umgesetzt. Die meisten Geflüchteten besaßen kein mobiles Endgerät und wenn doch, dann scheiterte es am fehlenden WLAN in den Unterkünften. Nicht selten saßen die Teilnehmenden daher vor Fast Food-Ketten, um das kostenfreie WLAN für den Deutschkurs nutzen zu können. Als der Bildungsverein während der Pandemie für die digitale Lehre zusätzliche Gelder bereitgestellt bekommen hatte, war sofort klar, wie sie diese nutzen wollten. Sie kauften Tablets für ihre Deutschlernenden und versuchten zudem auf politischer Ebene, WLAN für die Unterkünfte zu erwirken. Letzteres leider erfolglos. Für jene, die wenig technikaffin sind, nahmen sich einzelne Lehrende sogar Zeit und erteilten Corona konformen Einzelunterricht.
Den so häufig angeführten „integrationsunwilligen Geflüchteten“ hält Bego auf Grund ihrer jahrelangen Erfahrung für erfunden. „99 Prozent wollen hier ankommen. Die brennen förmlich dafür“, erzählt sie uns. Einige von ihnen seien zudem hochgebildet, aber ihre Abschlüsse würden hier natürlich meist nicht anerkannt werden. Zudem wissen die meisten von ihnen, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr in ihre Heimatländer zurückkehren können. Zu lange dauert bereits der Krieg in Syrien. Von der Lage in Afghanistan wollen wir erst gar nicht anfangen. „Niemand möchte 20 Jahre lang auf der Wartebank sitzen“, sagt Bego. Auch der oft stark kritisierte „Wirtschaftsflüchtling“ habe seine Heimat nicht aus einer Laune heraus verlassen, erklärt sie uns. Denn auch Armut kann und darf ein Antrieb sein, die Heimat zu verlassen. Das ist klar. Während sich der Bildungsverein allerdings reichlich Mühe gibt, um den Geflüchteten die deutsche Sprache so gut es geht näher zu bringen, baut die Politik offenbar immer mehr Hindernisse ein. Die Landesregierung unter Rot-Grün hatte nach 2015 mit dem SEG die Landessprachkurse deutlich intensiver gefördert. Unter SPD und CDU wird das Programm immer weiter abgebaut und kann mittlerweile nahezu als nicht mehr existent bezeichnet werden. Nicht nur, dass das Angebot deutlich ausgedünnt wurde, ist auch die Teilnahme längst nicht mehr so unbürokratisch wie einst angedacht. Außerdem fehlt es in diesem Sektor an Geldern für längerfristige Angebote. Um sich für den hiesigen Arbeitsmarkt zu behaupten bedarf es deutlich mehr als 300 Stunden Deutschunterricht. Umstände, die auf politischer Ebene offenbar noch nicht angekommen sind. Dabei haben es besonders Geflüchtete aus Kriegsgebieten schon so auch schwer genug. Oftmals sind sie schwer traumatisiert und müssen hier in der Fremde auch noch völlig ohne ihre Familien bestehen. An Familiennachzug oder ausreichend psychologische Betreuung kann hier nicht gedacht werden. „So schafft man sich Integrationsunwillige auch selbst“, sagt Bego. Eine echte Sisyphusaufgabe also.
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