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Paris für Bibliophile

Oder auch: Was hat Shakespeare in Paris zu suchen?

Paris in Papierform

Wir können natürlich nicht einfach Ernest Hemingway im Zusammenhang mit Paris erwähnen, aber dann Paris – Ein Fest fürs Leben unerwähnt lassen. Während der berühmten goldenen Zwanzigerjahre war Hemingway in der französischen Hauptstadt als Journalist tätig. In dieser Zeit knüpfte er zahlreiche interessante Kontakte, unter anderem mit Sylvia Beach, den Schriftstellern Ezra Pound und F. Scott Fitzgerald und natürlich mit Gertrude Stein. Sein schriftstellerisches Schaffen hat sich vor allem maßgeblich in dieser Zeit entwickelt und bleibt daher nicht ohne Einfluss von seinen Bekanntschaften. Seinen Erinnerungen hat er mit Paris – Ein Fest fürs Leben ein die Zeit überdauerndes Zuhause erschaffen. Und eben aus diesem schmalen Band, das 1964 erst postum erschien, stammen auch einige der schönsten Literaturzitate von Hemingway. Unter anderem dieser zeitlose Schatz: „We would be together and have our books and at night be warm in bed together with the windows open and the stars bright.“ Wer also gemeinsam mit Gertrude und Ernest durch den Jardin du Luxembourg spazieren möchte, dem sei dieses Büchlein wärmstens empfohlen.

Ebenfalls prall gefüllt mit Erinnerungen an Paris ist auch der in Deutschland leider recht unbekannte autobiographische Roman Wörterbuch einer verlorenen Welt von Alba Arikha. Dabei gehört dieser Roman sogar tatsächlich zu unseren liebsten Parisschriften überhaupt. Alba Arikha ist die Tochter des verstorbenen Künstlers Avigdor Arikha und der amerikanischen Dichterin Anne Atik. Ihre Kindheit verbrachte Arikha im stetigen Spannungsfeld ihrer multinationalen Wurzeln und dem stark von der Kunst und Literatur geprägten Gesellschaft ihres Vaters. Ihr Patenonkel war beispielsweise niemand Geringeres als Samuel Beckett. In Wörterbuch einer verlorenen Welt nimmt uns Arikha daher mit auf einen Erinnerungsstreifzug durch eben diese sehr prägende Zeit. Dabei lässt sie weder all die Momente aus, in denen ihr Vater sie und ihre Schwester im Louvre für Kunst begeistert hat, noch wie fremdartig die Besuche bei ihrer Familie in Israel waren. Das Paris der 1980er Jahre wird in Arikhas Roman greifbar und man wünscht sich glatt, dass es weitaus mehr als nur rund 250 Seiten hätte.

Wir bleiben den Erinnerungen treu, präsentieren euch hiermit aber auch den französischen Meister der Erinnerungen: Patrick Modiano. Ganz gleich welchen Roman man von dem Nobelpreisträger öffnet, seine Protagonist*innen erinnern sich an die abenteuerlichsten und mysteriösesten Dinge aus ihren Vergangenheiten. Nicht selten greift Modiano dazu noch Themen wie die jüdische Identität, die deutsche Besatzung und die damit verbundene Résistance auf. Von all seinen Romanen und Erzählungen hat uns Straferlass aus dem Jahr 1988 allerdings am meisten beeindruckt. Hier erinnert sich der Protagonist namens Patrick, auch Patoche genannt, an seine Kindheit zurück, die er gemeinsam mit seinem kleinen Bruder zeitweise bei vier äußerst außergewöhnlichen Frauen in einem Dorf nahe Paris verbrachte. Die Erwachsenenwelt, so sehr sich die beiden Brüder auch bemühen, bleibt dabei das größte Rätsel. Die Mutter ist in Nordafrika mit ihrer Theatergruppe unterwegs, der Vater irgendwo in Südamerika und auch die vier Frauen verschwinden tagein, tagaus immer wieder und hüllen sich in Schweigen. Straferlass ist mit seinen knapp 150 Seiten so wundervoll verdichtet geschrieben, dass man sich einfach nur mehr wünscht.

Eigentlich hat der Roman Der Club der unverbesserlichen Optimisten von Jean-Michel Guenassia 2009 den Prix Goncourt des Lycéens gewonnen und zählt damit irgendwie auch zu den Jugendbüchern, aber dank literarischen Hits wie Harry Potter wissen wir, dass solche Bezeichnungen uns „Große“ keinesfalls vom Lesen abhalten sollten. Guenaissia präsentiert uns nämlich mit seinem ungewöhnlichen Club einen fantastischen Einblick ins Paris der 1960er Jahre. Michel ist gerade einmal 12 Jahre alt als er im Hinterzimmer eines Pariser Cafés auf den Club der unverbesserlichen Optimisten stößt. Es sind Menschen, die vom Leben gebeutelt scheinen, aber trotzdem ihre grundlegende positive Einstellung keinesfalls verloren haben. Und auch Michels optimistische Einstellung wird in den kommenden Jahren hart auf die Probe gestellt. Während er immer weiter in eine wilde Jugend voller Rock’n’Roll und erster Liebe eintaucht, schlägt gleichzeitig der Algerienkrieg immer weiter seine Wellen. Aber auch der kalte Krieg wühlt die jungen von der Philosophie begeisterten Köpfe auf. Ein brillantes Panorama, das sich trotz der Themen leicht lesen lässt.

Wir hoffen, dass euch unser Ausflug nach Paris genauso gut gefallen hat wie uns und ihr euch vor allem mit unseren Literaturtipps etwas vom savoir de vivre nach Hause holen könnt. Wenn es nach unserer Leidenschaft gegangen wäre, hätten wir euch mindestens drei Monate lang in die Stadt des Lichts mitgenommen. Aber für den Dezember haben wir bereits schon ganz wunderbare Sachen für euch geplant und das wird noch einmal vor allem alle Bücherwürmer unter euch schwer begeistern. À bientôt!

Ernest Hemingway: „Paris – Ein Fest fürs Leben“, Übersetzung von Werner Schmitz, Rowohlt Taschenbuch, 336 Seiten

Alba Arikha: „Wörterbuch einer verlorenen Welt“, Übersetzung von Friederike Meltendorf, Berlin Verlag, 256 Seiten

Patrick Modiano: „Straferlass“, Übersetzung von Andrea Spingler, Suhrkamp Verlag, 146 Seiten

Jean-Michel Guenassia: „Der Club der unverbesserlichen Optimisten“, Übersetzung von Eva Moldenhauer, Insel Verlag, 685 Seiten

(Fotos: stadt.land.stories.de (Header; 1-4), Buchcover (5-8))

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Veröffentlicht in Stories

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