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Im Gespräch mit Benja Hiller von Welcome To Last Week – Das Indie Game Magazin

Oder auch: „Lara Croft würde ich beispielsweise eine schöne dicke Jacke anziehen“

„Der Preis hat nicht nur mit der Länge zu tun“

Hier gibt es was auf die Ohren: Der hauseigene Podcast sorgt für Gesprächsstoff und betrachtet die Szene auch durchaus kritisch

Mit ihren Rezensionen, die sich wunderbar von den klassischen Kaufempfehlungen entfernt haben, haben sich Benja und ihr Team zu Recht ein Namen gemacht und lieben die Indie-Game-Szene mit Leib und Seele. Großes Lob sprechen sie vor allem für die Kritikfähigkeit der Entwickler*innen aus, denen das Feedback der Redaktion keineswegs egal ist. „Die Menschen in dem Bereich sind sehr offen für den Austausch“, erzählt uns Benja. Das ist allerdings bei weitem nicht der einzige Grund. Im Gegensatz zu den Mainstream-Games brechen Indie-Games Rollenklischees meist vollständig auf und machen so Platz für ganz neue Diskurse. Besonders Frauen hängen nämlich ansonsten weiterhin in ihrer stereotypischen Rolle fest und sollen vor allem sexy sein. „Lara Croft würde ich beispielsweise eine schöne dicke Jacke anziehen. Du reißt dir doch sonst die ganzen Arme auf, wenn du einen Berg hochrennst“, so Benja. Indie Games sind auch hinsichtlich der Themen deutlich vielfältiger und Diversität ist ein fester Bestandteil. Nicht selten kann man hier auf transsexuelle oder non-binary Figuren treffen. In dem 2020 erschienen Game If found… ist die Protagonistin beispielsweise eine transsexuelle Frau im erzkatholischen Irland der 90er-Jahre.

Die Community sei daher deutlich aufgeschlossener, die Diskussionen in den Kommentarspalten laufen gesitteter ab und queere Themen sind willkommen. Daher wird auch beim hauseigenen Podcast darauf geachtet, dass immer mindestens eine Frauenstimme und queere Perspektiven Teil der jeweiligen Folge sind. Völlig frei von Makel ist die Szene aber trotzdem nicht, denn gerne wird kritisiert, dass die Games für ihre kürzere Spielzeit zu viel kosten würden. „Das hat aber nichts mit der Qualität zu tun. Der Preis hat nicht nur mit der Länge zu tun“, argumentiert Benja. Schließlich sind Indie Games keine schnellen Verschleißprodukte, sondern Kunst, hinter der viele Stunden harte Arbeit von kleinen Teams stecken. Und Spiele hatten wir besonders in den vergangenen eineinhalb Jahren noch nötiger als zuvor. Auf der diesjährigen gamescom wurde eine Bitkom-Studie präsentiert, die einen signifikanten Anstieg von Gamer*innen während der Pandemie aufzeigt. Rund zweieinhalb Millionen Menschen mehr gaben sich PC- und Konsolen-Games hin und hätten laut eigener Aussage die Pandemie auch ansonsten kaum überstanden. Dabei stünde aber nicht nur der Zeitvertreib im Fokus, sondern auch die soziale Komponente. Eine Entwicklung, die auch Benja beobachtet hat. Vor allem Online-Games, die die Möglichkeit zum Austausch bieten, standen hoch im Kurs.

„Wo ist denn da bitte das Detektivspiel?“

So kann Arbeit auch gehen: Benja Hiller und ihr Team werfen für Qualität und persönliches Wohlbefinden auch schon mal Deadlines über den Haufen

Trotz der großen Beliebtheit und der qualitativ hochwertigen Texte auf Welcome To Last Week kann das Magazin noch nicht den Kühlschrank füllen und auch das Arbeitsamt ist keine große Hilfe. So muss Benja Arbeitslosengeld beziehen und nach Finanzierung suchen. Beispielsweise durch Crowdfunding-Kampagnen, Patreon und natürlich durch klassische Werbeschaltung auf der Website. Das wird zwar nicht immer gerne gesehen, aber nicht nur Benja, sondern alle aus dem Team schreiben bisher noch vollständig unentgeltlich. Wer einen Blick auf die Seite wirft, wird das bei dem Maß an Professionalität kaum für möglich halten. Dafür bietet Welcome To Last Week den Redakteur*innen allerdings natürlich die ideale Plattform, um sich weiterzuentwickeln, sich auszutoben und vor allem dazuzulernen. Als Chefredakteurin und Herausgeberin ist es Benja vor allem ein großes Anliegen, dass im Prinzip jede*r Einzelne alles kann und sie auf diese Weise auch Aufgaben abgeben kann. Denn neben ihrem Magazin schreibt Benja normalerweise auch rein literarische Texte und hat das ein und andere Roman-Fragment in der Schublade liegen, das auf eine Fortführung wartet.

Für Benja ist das Schreiben auf jeden Fall ein heilsamer Prozess, denn leider wird sie selbst seit Jahren von Depressionen begleitet. „Aus sowas kann wahnsinnige Kraft entstehen“, erzählt sie uns. Ohne die Depressionen, so führt sie fort, hätte es mit hoher Wahrscheinlichkeit weder das Magazin, noch ihre Buchprojekte gegeben. Höchstwahrscheinlich wäre sie sogar noch immer irgendwo angestellt und würde dieses Jahr über Luftreiniger schreiben. Mit ihren Redakteur*innen kommuniziert sie Themen wie Mental Health ganz offen und sorgt durch flexible Deadlines und gegenseitiges Vertrauen für eine entspannte und rücksichtsvolle Arbeitsatmosphäre. Für sie sind Depressionen daher alles andere als ein Ausdruck von Schwäche. „Du lernst so viel. Reflexion und Empathie“, erzählt uns Benja. Verstanden fühlt sie sich übrigens auch von einigen Indie Games und vielleicht ist das ein weiterer Grund, warum sie sich vor allem dieser Szene so verbunden fühlt. „Es gibt wahnsinnig viele Spiele zum Thema Depressionen, Angststörungen und Psychosen“, sagt Benja. Von dem 2020 erschienenen Game Twin Mirror fühlte sie sich besonders angesprochen und empfand den psychologischen Thriller eigentlich als gelungene Darstellung von Angststörungen. „Wo ist denn da bitte das Detektivspiel?“, fragt Benja und lacht. Man müsse allerdings vorsichtig sein, zu welchen Games man greift, gibt sie zu bedenken, denn manche können die Zustände durchaus verschlimmern.

Auch in diesem Jahr werden wieder 24 Türchen geöffnet

Welcome To Last Week ist also deutlich mehr als nur ein Game-Magazin, das sich mit Indie-Games eine flauschige Nische gesucht hat. Viel mehr sind es zeitgemäße kulturwissenschaftliche Betrachtungen und der gelungene Versuch, Games aus der reinen Unterthaltungsecke zu holen. Games als Kunstprodukt? Da sind wir dabei! Wer sich nun selbst davon überzeugen möchte, besucht bitte schleunigst die gut strukturierte Website des Magazins. Unbedingte Aufmerksamkeit verdient übrigens auch der Instagram-Account von Welcome To Last Week. Hier werdet ihr nicht nur lückenlos auf neue Artikel und Podcast-Folgen aufmerksam gemacht, sondern erfahrt jeden Samstag über den Screenshot Saturday was die Redaktion gerade so spielt. Außerdem ist auch für dieses Jahr wieder der beliebte Adventskalender geplant, bei dem ihr 24 Mal die Chance auf tolle Indie-Games habt.

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Und auch auf Twitter ist Welcome To Last Week unterwegs

(Fotos: stadt.land.stories (Header), Welcome To Last Week/Benja Hiller (1-5))

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