Ein Magazin berichtet über ein Magazin berichtet über ein Magazin berichtet über…..Gertrude Stein wäre gerade etwas stolz auf diesen ausgezeichneten Loop. Aber darum soll es in diesem Beitrag gar nicht gehen, sondern um eine Frau, die genauso verliebt ist in gute Geschichten wie wir. Und aus dieser Liebe etwas ganz Großartiges geschaffen hat. Benja Hiller ist Gründerin und Chefredakteurin von Welcome To Last Week, Deutschlands wohl leidenschaftlichsten Online-Magazin für Indie Games. Und als wäre das nicht schon cool genug, steckt auch hier erneut ein Weg dahinter, der anders ist als andere und eine Geschichte, die inspiriert.
An all jene, die vor den Smartphones und salonfähiger Game-Kultur groß geworden sind: Könnt ihr euch noch daran erinnern, wie es war, als ihr das allererste Mal vor so einer abgefahrenen Flimmerkiste gesessen seid? Ganz gleich ob Computer oder Konsole. Ich war zehn Jahre alt und von jetzt auf gleich zog kurz nach Weihnachten der allererste PC bei uns ein. Als wir ihn zum ersten Mal starteten, saßen wir gebannt als Familie um diese Kiste herum und starrten sie an, als würde gleich Mareijke Amado herausspringen und uns in die Zauberkugel entführen. Mit dazu bekamen wir Kinder übrigens das König der Löwen-Spiel auf Diskette, wobei wir auf Grund eines Produktionsfehlers nie über das erste Level hinauskamen. Den größten Spaß hatte ich persönlich allerdings – wen wundert es – mit dem Schreibprogramm, dessen Name mir entfallen ist. Ich nannte es immer liebevoll „Edit“, da dies genau darüber stand und stellte mir im Inneren des PCs eine bebrillte Sekretärin namens Edit vor, die alles fein säuberlich notierte, was ich wild und leidenschaftlich in die Tastatur haute. Fantasie war zumindest vorhanden. Der Wunsch von einem Game Boy blieb mir zwar in jungen Jahren verwehrt, die Faszination an Games blieb allerdings bestehen.
Games als narrative Erfahrung
Benja war ungefähr fünf Jahre alt, als sie das erste Mal kopfüber in die Gamekultur gehüpft ist. Ihre erste Begegnung? Die legendäre Spalttablette vom 80er-Arcade-Klassiker Pac-Man, die fröhlich kleinere Pillen futtert und vor Geistern wegrennt. So zumindest Benjas Interpretation des Kult-Games aus Japan. Glücklicherweise besaß nämlich jemand aus ihrer Familie einen Commodore. Auch ihr Freundeskreis wurde peu à peu mit Commodores bestückt und so konnte sie hier und da bei Freund*innen California Games und Winter Games spielen. Ende der 80er Jahre zog dann auch bei ihr ein niedlicher Atari ein. Mitte der 90er folgte dann ein eigener Commodore und ein N64. Ab da ging Benja immer mit der Zeit und holte sich jede neue Konsole, die auf den Markt kam. „Es hat mich super fasziniert, dass ich aktiv in Geschichten eintauchen kann und nicht nur teilnahmslos zugucke wie beim Kassettenhören oder Fernsehschauen“, erzählt sie uns. Games waren für sie von Beginn an mehr als ein bloßer Zeitvertreib, mehr als ein bisschen Jump’n’Run, sondern eine echte narrative Erfahrung, die sie zu schätzen wusste. Da mussten sich andere Freizeitaktivitäten wie zum Beispiel Geburtstagsfeiern auch mal hinten anstellen. Ein Game aus der Zeit, das ihr besonders im Gedächtnis geblieben ist, ist Maniac Mansion, der Vorgänger zu Day of the Tentacle. „Das war die erste Gruselerfahrung mit der großen Villa und den kauzigen Charakteren“, erzählt uns Benja. Mindestens fünfmal hat sie das Game mit den unterschiedlichen Enden durchgespielt. War also irgendwie klar, dass sie irgendwann Deutschlands charmantestes Indie Game-Magazin gründen wird, oder etwa nicht?
Nein, natürlich war das Ganze nicht so klar und was wären Geschichten ohne überraschende Wendung? Benja liebte zwar Geschichten und konnte sich nicht nur in sie reinfallen lassen, sondern schrieb auch sehr gerne, aber ihr Talent und ihre Leidenschaft wurden sorgfältig von einer Rechtschreibschwäche versteckt. Da sie allerdings zudem noch richtig gut in den naturwissenschaftlichen Fächern war, empfahl ihre Familie ihr, sich für eine solide technische Ausbildung zu entscheiden und aus Benja wurde zunächst eine KFZ-Mechanikerin, denn für Autos konnte sie sich nämlich auch schon immer begeistern. Wirklich zufrieden machte sie das aber nicht und hier kommen wir zu einem Punkt, den viele unserer Stories gemeinsam haben. Nämlich, dass es hier meistens um Menschen geht, die ihren Leidenschaften gefolgt sind und dafür auch mal Umwege oder herausfordernde Anstrengungen in Kauf genommen haben. Menschen, die einfach mal gemacht haben. Und so hängte Benja den Schraubenschlüssel an den Nagel und holte ihr Fachabitur nach. Mittlerweile tobte sie sich als Schreiberin im Turbostaat-Forum aus und schrieb zahlreiche Konzertkritiken. Auf ein Studium hatte sie keine Lust, denn sie wollte direkt loslegen, sie wollte schreiben und nicht weiter warten. Und so schrieb sie für unterschiedliche Magazine, beispielsweise für das Ox, das Spoke und das Artempire und nahm schlussendlich auch immer mehr Aufträge als freie Texterin an. Geschrieben hat sie über nahezu alles. „Auch über Fußball, Autos und Luftentfeuchter“, erzählt uns Benja. Mit 100KiloHerz erfüllte sie sich zeitweise sogar den Wunsch nach einem eigenen kleinen Musiklabel. Wer kann, der macht eben.
„Games haben nicht dieselbe kulturelle Wahrnehmung und werden als Beschäftigungstherapie wahrgenommen“
Zunächst landete Benja aber als Autodidaktin in einer Vollzeitstelle für ein Haus und Garten-Testmagazin, aber die Arbeit dort war wenig befriedigend. Das Lektorat schrieb ihre Texte meist so stark um, dass sich der eigentliche Akt des Schreibens für sie eher wie eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme anfühlte. Um sich dennoch die Leidenschaft fürs Schreiben zu erhalten, legte sich Benja 2013 einen Blog zu. Dort war sie völlig frei und konnte schreiben wie und über was sie wollte und eine Kategorie für Videogames war hier bereits mitgedacht. Da diese Rubrik nicht zwangsweise nur auf Aktualität baute, gab sie ihr den eingängigen Namen „Welcome To Last Week“. Es sollte aber noch bis 2017 dauern bis Benja aus der einstigen Rubrik über Videogames ein ganzes Magazin formte. Der Name blieb, genau wie das Konzept. Sich Zeit für qualitativ hochwertige Artikel zu nehmen sei wichtiger, als auf die Einhaltung von Deadlines zu bestehen, so Benja Hiller. Auch sonst unterscheidet sich Welcome To Last Week signifikant von anderen Online-Magazinen und trifft damit einen Nerv bei der Leserschaft. Von Beginn an geht es Benja nämlich vor allem um gründliche Recherche, um ihren Leser*innen wirklich einen Einblick in das Game zu geben und sich vom sonst typisch oberflächlichen Game-Journalismus zu distanzieren, der sich meist wie eine Spielanleitung liest. „Wenn die mir über Seiten erklären, welche Knöpfe ich erst drücken muss, dann interessiert mich das nicht. Ich finde es viel spannender, was das Spiel mit mir macht anstatt wie das Spiel funktioniert“, erklärt sie uns. Deswegen handeln die Rezensionen auf Welcome To Last Week eben nicht nur vom Game, sondern erzählen selbst kleine Geschichten. Auf diese Weise werden häufig Rezensionen mit gesellschaftlichen Themen verknüpft und bieten neben der Darstellung des Games auch noch einen weiteren Mehrwert.
Den Fokus legt sie dabei, wie der Name schon sagt, auf Indie-Games, die wenig mit Marios Welt oder derzeitigen Hits wie Fortnite zu tun haben. Das ist besonders wichtig, denn für Benja und ihr Team ist immer noch deutlich, dass sich das antiquierte Bild der Gaming-Szene immer noch hält. „Games haben nicht dieselbe kulturelle Wahrnehmung und werden als Beschäftigungstherapie wahrgenommen“, sagt Benja. Dabei sind viele der Indie-Games für sie Kunst. Um dieses Klischee allerdings zu durchbrechen, müssen Games eben auch als Kunstprodukt behandelt werden und für die breite Masse journalistisch angemessen aufbereitet werden. Welcome To Last Week möchte dazu natürlich einen ordentlichen Beitrag leisten und dieser stößt von Beginn an auf große Resonanz. Bereits 2017 bekommt Benja ihren ersten Gamecode zugeschickt und zwar von Sega für das damalige Sonic Game Sonic Mania. 2018 ist sie bereits akkreditiert auf der gamescom unterwegs und merkt immer mehr, dass ihr einstiger Blog keine Beschäftigung mehr für nebenbei ist. „Die Leute erwarten auch, dass was kommt“, stellt sie fest und geht daher 2019 schon auf die Suche nach Verstärkung. Mittlerweile arbeitet Welcome To Last Week als fünfköpfiges Team zusammen und vor allem stetig über sich heraus. Benjas Geheimnis? „Man muss Fan von sich selbst sein“, erklärt sie uns. Und man muss dem Team natürlich auch vermitteln, was für eine Vision hinter dem Magazin steckt und in welche Richtung man gehen möchte, so die Autodidaktin.
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