Kaum ein anderes Thema beherrscht die Menschen verständlicherweise so sehr wie die Pandemie und das seit fast einem Jahr. Das Leben, so kommt es vielen vor, ist auf Pause gestellt. In den sozialen Netzwerken wimmelt es nun nicht mehr von Fotos von fremden Orten und tropischen Sonnenuntergängen. Außer es handelt sich um eine Erinnerung aus vergangenen Tagen. Einige nutzten den Sommer 2020 für eine Verschnaufpause vom ersten Lockdown, andere wiederum sorgten sich schon im Juli vor den Auswirkungen der Reisewellen. Und während auch ich mich im Sommer immer weiter durch die Plattformen scrollte und vor allem von großer Verunsicherung las, stieß ich auf einmal auf die Ankündigung einer ehemaligen Klassenkameradin. Demnächst würde ihr neues Projekt an den Start gehen, man könne gespannt sein, es würde nicht mehr lange dauern. Und daneben zahlreiche Posts, wer denn ihre Pflanzen in Berlin übernehmen würde. Schließlich wollen diese nicht mit nach Zürich ziehen. Ich staunte, war aber gleichzeitig ein wenig irritiert. Zu einer Zeit, in der sich die meisten Länder also noch vom ersten Lockdown erholten, zugleich aber mit Angst und Bange auf die wirtschaftliche Entwicklung und die kommende kalte Jahreszeit blickten, packte die gebürtige Hannoveranerin Marie Henze in Berlin also ihre Taschen. Gründung in Pandemie-Zeiten? Für Marie offenbar kein Problem. „Wann, wenn nicht jetzt?“, hat sie sich gedacht.

Im Gepäck hatte sie zwar kein großes Budget, aber Pläne und Visionen. In Berlin ließ sie dafür neben ihren Pflanzen ein erfolgreiches Start-up-Unternehmen zurück. Aber darauf kommen wir später nochmal zu sprechen. Im Oktober 2020 hat ihre Ankündigung Gestalt angenommen und mit Mary and Plants ging ein Pflanzen-Handel der besonderen Art online. Hier können zumindest die Schweizer*innen zahlreicher Kantone bereits ihre Topfpflanzen bestellen und bequem und sicher nach Hause liefern lassen. Was daran so besonders ist? „Pflanzen sind Lebewesen! Aus Überzeugung wähle ich nur die hochwertigsten Pflanzen aus GLOBAL G.A.P.-zertifizierter, nachhaltiger Zucht. Diese Pflanzen werden ohne jeglichen Einsatz von chemischen Pestiziden großgezogen und von jeder einzelnen ist die Herkunft bekannt. Ich glaube daran, so einen Beitrag zu leisten, die Natur nachhaltig in die urbane Hektik zurückzubringen. Damit Pflanzen gut gedeihen und sie lange Freude bereiten, bedarf jede Zimmerpflanze Liebe und Pflege. Deshalb habe ich mir das Ziel gesetzt, nicht nur Produkte anzubieten, sondern auch über die Bedürfnisse der Lebewesen aufzuklären“, klärt mich Marie im Video Call auf. Nachhaltigkeit als Unternehmensstrategie ist nicht neu, aber bei Marie steckt noch mehr als der bloße Aufbau eines Images dahinter. Und obwohl wir uns auf Grund der Beschränkungen nur online sehen und austauschen können, springt ihr leidenschaftlicher Funke direkt auf mich über. Aber fangen wir von vorne an.
Dass sie einmal zur erfolgreichen Unternehmerin wird, hätte sie in der Schulzeit wohl selbst nicht geglaubt. Dabei war sie schon immer die talentierte Rebellin mit ordentlich viel Girl Power. Aufgewachsen mit Bands wie den Spice Girls und Tic Tac Toe hat sie sich schon früh von den anderen Mädchen abgehoben. Marie galt immer als „die Coole“, dabei hatte sie mit denselben Zweifeln zu kämpfen, wie alle anderen auch. Auch dann noch, als sie Kunst und Biologie als Leistungsfächer für die Oberstufe wählte und dafür belächelt wurde. „Was willst du denn mit dieser Kombination?“, haben sie die meisten gefragt. Und auch Marie stand nach dem Abi erst einmal vor dem großen Fragezeichen und begann eine Ausbildung in einer Werbeagentur. Zumindest kreativ sollte es sein, das stand fest. Aber irgendwie war das zu viel Büro, alles viel zu steif und festgefahren. Eine Freundin aus Kassel brachte sie dann endlich auf die zündende Idee: ein Studium der Landschaftsarchitektur und Umweltplanung an der Uni Hannover. Ohne lange zu zögern schmiss Marie die Ausbildung und warf sich mit wenig finanziellem Rückhalt ins Studienleben.
„Ich hatte gefühlt fünf Franken“
Während so manch eine*r gerne jedes Risiko vermeidet und auf Planung setzt, behielt sich Marie ihre Flexibilität und landete deswegen sogar ganz spontan für ein Auslandssemester in Wien. Dass sie nur ein wenig BaföG bekam, sah sie nicht als Hindernis. Während des Studiums wurde ihr und ihren Kommiliton*innen bereits immer wieder gesagt, dass der beste Markt für Landschaftsarchitek*innen in der Schweiz beheimatet wäre. Nach ihrem Intermezzo in Wien entschied sich Marie also für den großen Sprung in die Schweiz, besser gesagt direkt nach Zürich. Auch hier wieder ohne doppeltes Sicherheitsnetz. „Es war mir egal, was andere sagten. Ich hatte gefühlt fünf Franken“, erzählt sie mir und kann auf ihren Mut zurecht stolz sein. Eigentlich wollte sie auch nur für ein halbjähriges Praktikum bleiben, aber daraus wurden direkt zwei Jahre. Zwei Jahre, die sie allerdings nachhaltig prägten und viel Praxis vermittelten. Marie träumte noch ein Stück weiter und bewarb sich mehr oder weniger spontan für den reinen Master in Landschaftsarchitektur in Berlin. Damit wollte sie vor allem das Dreieck Wien-Zürich-Berlin abschließen. Anstatt sich diesmal aber nur auf ein bisschen BaföG verlassen zu müssen, konnte Marie Henze nun auf ihre Berufserfahrung aufbauen und arbeitete neben dem Studium bereits für renommierte Büros in der Bundeshauptstadt.
Irgendwie hatten wir das aber schon, mit Marie und dem Büroleben, oder etwa nicht? Nach dem Masterabschluss wurde sie sofort als Projektleiterin angeworben und sammelte noch mehr Erfahrungen. Der Workload und die Sinnfrage des Ganzen machten ihr jedoch nach einiger Zeit zu schaffen. „Wofür mache ich das eigentlich?“, fragte sie sich und suchte nach Ausgleich. Den fand sie schlussendlich in der Alten Münze, einem mittlerweile umgenutzten Fabrikgelände in Berlin-Mitte. Hier entstanden in den vergangenen Jahren neben großzügigen Galerieflächen auch ein begrünter Innenhof und Garten. Marie packte an, plante den Garten mit und brachte durch zahlreiche Workshops den Stadtkindern die Natur näher. Sogar Bienen erhielten Einzug auf das alte Fabriksgelände. Eine noch größere Herausforderung trug allerdings der damalige Chef der Alten Münze an sie heran. Um noch mehr Menschen zur Alten Münze zu locken, sollte ein Café eröffnet werden und Marie war für die Gestaltung angedacht. „Innendesign hatte ich vorher noch nie gemacht“, erzählt mir Marie. Trotzdem war sie scharf sie auf die Herausforderung und sagte dem Chef direkt: „Wenn ich es mache, dann muss es grün sein“.
„Wovor hast du Angst?“
Ins Café hielten zahlreiche Pflanzen Einzug und dem Innendesign entsprechend wurde es The Greens getauft. Eine grüne Oase für vom Grau geplagte Stadtgeister. Marie war stolz, hatte aber zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung welchen damals aufkeimenden Trend sie damit bediente. „Auf einmal wurden die Pflanzen dauernd fotografiert“, bemerkte sie. Immer mehr Blogger*innen strömten ins The Greens, sogar die Presse wurde aufmerksam. Und Marie wurde klar, dass sich die Menschen allgemein wieder nach viel mehr Natur sehnten. Um mehr Abwechslung in die Begrünung des Cafés zu bringen und gleichzeitig die Pflege zu erleichtern, wurden die Pflanzen fortan auch zum Verkauf angeboten. Während die Pflanzen quasi zum Selbstläufer wurden, steckte Marie immer mehr Arbeit hinein. Es sollte nicht nur grün sein, sondern auch nachhaltig. „Bei Lebensmitteln legen wir schließlich auch Wert auf bio“, erzählt sie mir und sie hat absolut recht. Während Pflanzen aus dem konventionellen Handel meist nur im Intensivlicht gesund und schön wirken, sind diese aber leider nicht zum Überleben gezüchtet. Viel zu oft sind die Pflanzen sogar bereits beim Kauf krank oder von Schädlingen befallen. Außerdem sei schon alleine die Produktionskette weder fair noch nachhaltig, erzählt Marie weiter und ich merke, dass hier eine starke Haltung dahinter steckt.
Den großen Sprung in die Welt der Gründer*innen wagte Marie Henze bereits in Berlin. Dort wurde sie von zwei Start-up-Unternehmern angesprochen, die einen nachhaltigen Pflanzenhandel in Berlin aufziehen wollten. Zunächst zögerte Marie aber noch. Denn auch, wenn ihr Bürojob sie nicht vollständig erfüllte, wusste sie die Sicherheit einer Festanstellung zu schätzen. Eine Reise nach Brasilien öffnete ihr allerdings die Augen. „Wovor hast du Angst?“, fragt sie sich, als sie die Menschen in den Wellblechhütten leben sah. „Du wirst in Deutschland immer Essen haben. Du wirst nie verhungern in Deutschland, du wirst immer ein Dach über den Kopf haben“, stellte sie fest. Privilegien, die sie fortan für ihre Visionen nutzte. Wieder in Berlin angekommen, kündigte sie ihre Festanstellung und stieg bei Bosque ein. Zwei Jahre, in denen sie ein erfolgreiches und vor allem auch nachhaltiges Start-up mit aufbaute, das mittlerweile seine Pflanzen sogar bis nach Hamburg liefert. Schon alleine der Instagram-Account des Unternehmens ist für jede*n Plant Lover ein Highlight. „Pflanzen sind nun mal die neuen Frauen“, sagt Marie und schmunzelt dabei ein wenig. An die grünen Mitbewohner*innen habe man heutzutage auch den Anspruch, dass sie möglichst frei von jedem Makel zu sein haben. Dass eine Pflanze aber auch durchaus mal eine braune Stelle haben kann und darf und sogar Blätter verliert, scheint den meisten ungeübten Besitzer*innen vorab nicht klar gewesen zu sein. „Die Natur ist nicht perfekt“, sagt sie und genau dieses Bewusstsein sei irgendwann verloren gegangen. Nicht selten melden sich deswegen ganz aufgeregte Pflanzenbesitzer*innen bei Marie und bitten um Hilfe.
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